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Fahrradparken auf
Autoparkplätzen
Demo: Fahrradparken auf Autoparkplätzen

Am 13. Juni rollten GRÜNE und ADFC mit 12 Fahrrädern an, mieteten mittels Münzeinwurf in den Parkscheinautomat zwei Parkplätze im "Graben" gegenüber dem Cafe COC und stellten ihre Räder darauf ab.  Die Demo verlief friedlich, es wurden sogar zwei Fahrräder von vorbeikommenden Radlern dazugestellt. Grund: Die Verwaltung stellte versprochene Fahrrad-Anlehnbügel im "Graben" zurück. (Wir berichteten)

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Protest Protest

In der Leserbrief-Ecke des Gäuboten gab es einen regelrechten Shitstorm. Wir drucken ein interessantes Beispiel ab:

Die von den Grünen geforderte Umwidmung von Pkw-Stellflächen in Fahrradabstellplätze ist unbegründet und rechtlich nicht zulässig. Das Parken von Fahrrädern ist überall auf Gehwegen und am Straßenrand zulässig. Im Gegensatz zum Pkw ist das Parken von Fahrrädern nicht beschränkt. Die Behauptung, dass es zu wenig Abstellmöglichkeiten gebe ist also vollkommen unbegründet.
Die Umwidmung von Pkw-Stellplätzen zu Fahrradabstellflächen kann nur erfolgen, wenn die ursprüngliche Widmung geändert wird. Dies ist nur möglich, wenn es wesentlich weniger Pkw gäbe und der ursprüngliche Zweck damit hinfällig wäre oder, wenn ausreichend neue Parkplätze für Pkw in unmittelbarer Nähe geschaffen würden.
Im speziellen Fall der Umwidmung von gebührenpflichtigen Pkw-Stellplätzen zu kostenfreien Radabstellplätzen wäre zudem die Frage von Parkgebühren für Radfahrerstellplätze zu prüfen. Der Sachverhalt ist für beide Fahrzeuggruppen der Gleiche. Es wird jeweils ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt. Der Gleichheitsgrundsatz unseres Grundgesetzes verpflichtet die Stadt, beides gleich zu behandeln. Das kann aber nicht ernsthaft von den Grünen gewollt sein.

 

Wir finden den Leserbrief bemerkenswert. Klingt er doch seriös und bietet eine konstruktive Lösung an. Wenn man hinter die Zeilen schaut, kommt die rhetorische Raffinesse zum Vorschein, mit der der Autor die Fakten verbiegt:
 

Vier rhetorische Taktiken

1. Die juristische Keule. Der Leser wird in den Angst-Modus versetzt ("rechtlich nicht zulässig") und am Schluss vollends der Gesetzestreue verpflichtet ("Gleichheitsgrundsatz unseres Grundgesetzes").

2. Die KISS-Methode. "Keep It Simple Stupid". Zweifelhafte Methode in der Unterrichtspädagogik, um  die Motivation für ein Thema zu steigern und schwächere Schüler nicht abzuhängen. Ein komplexer Sachverhalt wird stark vereinfacht, gekürzt und plakativ übertrieben ("das Parken von Fahrrädern ist überall auf Gehwegen und am Straßenrand zulässig"). Präzisierungen, Relativierungen und ggf. Korrekturen erfolgen später in den höheren Klassen, wenn überhaupt.

3. Das Faktor-100-Dilemma. Es ist einfach, eine Unwahrheit in die Welt zu setzen, aber hundert mal schwieriger, sie zu widerlegen. ("Die Behauptung, dass es zu wenig Abstellmöglichkeiten gebe ist also vollkommen unbegründet")

4. Der hinkende Vergleich. Autoparken und Fahrradparken wird gleichgesetzt: beide müssen Parkgebühren zahlen. Der ökologische Gewinn aus 12 Quadratmeter Fläche durch sichere Fahrzeugaufbewahrung für bis zu acht Personen gegenüber Abstellen von zwei Tonnen Blech und Plastik für in der Regel ein bis zwei Personen wird ausgeblendet.
 

Weitere Auszüge aus Leserbriefen

(...) Nur aus politisch-ideologischen Gründen den schon jetzt schwierigen Zugang zu für Alte und Kranke teilweise lebenswichtigen Angeboten zu erschweren – zugunsten einer totalen, ad hoc zusammengetrommelten Minderheit – sollte nicht hingenommen werden. Es wäre zu wünschen, dass sich die Lobby auch dieser Menschen mal als Korrektiv der Auswüchse grüner Umweltfantasien regen würde. (...)

(...) Ferner stehen die Kosten für die Erstellung dieser Fahrradabstellvorrichtungen in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, der daraus entsteht.  (...)

(...) Ich kann den Bürgern von Herrenberg nur empfehlen, solchen Stadträten wie Herrn Gutbier, Wulz und Konsorten bei den nächsten Wahlen das Mandat zu entziehen. Es zeigt sich deutlich, dass sie sich nicht für das Gemeinwohl der Herrenberger Bürger einsetzen, sondern nur den ideologischen und realitätsfremden Grundsätzen ihrer Partei folgen. (...)
 

Und spätestens hier wird ersichtlich, wie schwierig und aufwendig eine sachliche Entgegnung auf derartige Leserbriefe ist.
 

Dass dann doch mal einer Leserbrief-Autorin der Kragen platzt, ist nicht verwunderlich.

Die nicht zuletzt durch die Corona-Situation gestiegene Bedeutung des Radverkehrs, eine der wenigen positiven Begleiterscheinungen, ist ein Fakt und keine grün-ideologische Verschwörung gegen das Auto. Offensichtlich können oder wollen das einige Leserbriefschreiber nicht akzeptieren. Wenn diese ebenso ausgelutschte wie engstirnige Uraltkeule endlich mal in der Mottenkiste verschwindet, könnte man sich auf sachbezogener Ebene darüber austauschen, wie wir die städtische Verkehrspolitik auch in puncto ruhendem Radverkehr dem konkret geänderten Mobilitätsverhalten der Bevölkerung anpassen können. Der Gemeinderat hat diesen Weg mit dem Integrierten Mobilitätsentwicklungsplan (Imep) und den Maßnahmen der „Modellstadt“ (aktuell Umbau Seestraße und Hindenburgstraße) schon vor langem beschritten – mit Stimmen aus allen Fraktionen. Ein Merkmal dieser Politik ist die Neuverteilung der Verkehrsflächen zugunsten von Fußgängern und Radfahrer – der Straßenraum ist nun mal nicht vermehrbar. Die Themen Klimaschutz und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt sprengen den Rahmen eines Leserbriefs.
Aus einer Aktion der Grünen wie der legalen Nutzung von zwei Parkplätzen für Fahrräder im Graben an einem Samstagvormittag, die auf die geänderten Verhaltensmuster der Verkehrsteilnehmenden hinwies, abzuleiten, wir würden Probleme wie Arztbesuche ausblenden, ist scheinheilig. Sacharbeit statt billiger Klischees, Dialog statt Meckern, so kommen wir für Herrenberg weiter.

 

Und eine sachliche Entgegnung:

Ein wesentlicher Bestandteil von Klimaschutzprogrammen und zukunftsfähigen Verkehrskonzepten ist es, den ÖPNV sowie den Rad- und Fußverkehr auszubauen und den Autoverkehr überall dort, wo es möglich und sinnvoll ist, zu vermindern. Damit werden Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß, Abgase und Lärm reduziert und die Verkehrssicherheit erhöht. Um den Radverkehr attraktiver und effektiver zu machen, müssen sichere Radwege gebaut und genügend Radabstellplätze eingerichtet werden. Nur so ist es möglich, dass immer mehr Menschen Freude und Spaß am Radfahren bekommen und viele ihrer täglichen Wege, sei es zum Bäcker, Arzt oder Wochenmarkt, mit dem Rad anstatt mit dem Auto zurücklegen.

Wenn also Bürger am östlichen Graben mit einer sinnfälligen Aktion gezeigt haben, dass dort dringend ein paar Fahrradabstellplätze gebraucht werden, haben sie sich sehr für das Allgemeinwohl in Herrenberg eingesetzt. Da ich sehr viel mit dem Rad unterwegs bin, stelle ich fest, dass Fahrradabstellplätze mit soliden Bügeln (leider gibt es noch viel zu wenige in der Stadt) meist gut genutzt und häufig schon belegt sind. Solche Fahrradbügel ermöglichen ein diebstahl- und standsicheres Abschließen und vermeiden das für Fußgänger und Ladenbesitzer hinderliche und ärgerliche Abstellen der Räder an Hauswänden und vor Ladenflächen. Wenn man bedenkt, dass auf der Fläche eines normalen Pkw-Parkplatzes etwa zehn Räder geparkt werden können, ist sofort klar, dass diese Fläche wesentlich effizienter genutzt werden kann als von einem einzelnen Pkw. Dem bisher Gesagten werden viele Leser/innen zustimmen können, die selber öfters mit dem Fahrrad unterwegs sind.

Eine kleine Richtigstellung darf ich mir zum Abschluss aber noch erlauben, weil in einem der Leserbriefe, auf die ich mich hier beziehe, überlegt wurde, ob das Fahrradfahren „eher verboten und eingeschränkt statt gefördert werden sollte“ (!) wegen des vom Radler je nach seiner körperlichen Belastung mehr oder weniger hohen CO2-Ausstoßes beim Atmen. Der besagte Leserbriefschreiber kann aber beruhigt sein, weil das beim biologischen Stoffwechsel ausgeatmete CO2 später wieder bei der Nahrungsmittelproduktion „eingefangen“ wird. Dies ist ein „CO2-neutraler“ Kreislaufprozess, der nicht zur Anreicherung des Klimagiftes in der Atmosphäre und damit nicht zur Klimaerwärmung beiträgt.

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