von Martin Dietze, 11.08.2020
Kürzlich befuhren wir den Glemsmühlenradweg vom Glemseck bis kurz vor Bietigheim. Die Zufahrt zum Glemseck wählten wir vom Bahnhof Böblingen über den Kult.Tour.Radweg, in der Meinung, als touristischer Radweg sei er gut ausgeschildert und erspare uns lästige Planerei mit einer der zahlreichen Planungshilfen auf dem Smartphone.
In Sindelfingen verliert sich der Kult.Tour.Radweg nördlich der Altstadt; wir haben uns komplett verfahren. Wir holen das Smartphone raus und stellen fest, dass der RadRoutenplaner Baden-Württemberg den Kult.Tour.Radweg nicht eingepflegt hat... (Er hat auch keine GPS-Funktion, aber das verlangen wir nicht auch noch). Er bietet drei Alternativen an, leider verdeckt die fette rote Linie die grafische Darstellung der Wegearten (Straße? Feldweg?) und die Straßennamen. Die rote Linie führt dermaßen im Zickzack durch den Wald, dass es uns zu blöd ist, den Weg auf unserer altmodischen papierenen topografischen Radkarte (die wir immer dabeihaben!) nachzuzeichnen. Ein kundiger Passant zeigt uns den unbeschilderten Einstieg in den direkten Weg zum Katzenbacher Hof, da wären wir schon fast beim Glemseck. Der Forstweg ist gut zu befahren, auch dank der später auftauchenden Wanderwegszeichen, nix Zickzack. Radwegweiser: ein einziger, allein und verloren an einer Kreuzung im Wald...
Beim Glemseck finden wir, oh Wunder, das kleine Hinweisschild mit dem Glemsmühlenradweg-Symbol.
In Leonberg verliert sich der Glemsmühlenradweg an einer Querstraße. An einem Kreisverkehr in der Nähe gehen zwei Radwege ab ohne Wegweiser. Eine Passantin schickt uns zurück und erklärt uns den komplizierten Weg zum Bahnhof, da seien wieder Wegweiser. Zum Glück treffen wir einen "Profi", der schickt uns wieder zum Kreisverkehr und zeigt uns den Glemsradweg. Nach 1 km an einer Gabelung wieder kein Wegweiser weit und breit. Zurück zum Kreisverkehr, ein weiterer Profi sagt wie es bei der Gabelung weitergeht.
Später werden wir etwas abseits durch Getreidefelder geleitet. Weil dort ein Abbiege-Wegweiser fehlt, fahren wir unnötig den Berg rauf. Eine Wandersfrau schickt uns zurück zur Glems, auf einen schmalen Schotterweg: "Das ist nicht der Radweg, aber die meisten Radler fahren hier". Nach paar hundert Meter: oh Wunder, ein Radweg-Täfelchen.
In den Ortschaften ist die Sucherei teils mühsam. Die Universal-Täfelchen mit dem grünen Rad-Piktogramm sind schon nett, aber es fehlt i. d. R. ein Hinweis darauf, auf welchem Radweg man sich befindet. Wenn auch das Täfelchen fehlt, fährt man den nächsten markierten Radweg (amtliches Radweg-Verkehrsschild und weißes Rad-Piktogramm auf der Fahrbahn) und hofft, dass es der richtige Weg ist. An den Fahrrad-Wegweisern, wenn man denn einen findet, sind mit Glück Zusatztäfelchen darunter angebracht mit den speziellen Touristen-Radwege-Symbolen. Wenn das benötigte Symbol fehlt, dann muss man halt wissen, wie der nächste Ort heißt. Wenn man Pech hat, landet man zwar im richtigen Ort, aber nicht auf dem touristischen Radweg.
Eigentlich habe ich keine Lust, wenn ich einen fett beworbenen touristischen Radweg fahre, erst mit Komoot oder sonstigem Zeugs den Weg vorher daheim zu planen. Zeitvergeudung. Trotzdem lade ich mir daheim den Komoot runter - ich will doch wissen, was das hochgelobte Tool kann. Schaun wir mal:
Von Böblingen zum Glemseck schlägt Komoot für Normalradler eine Tour über die "wenig befahrene Leonberger Straße" vor, für MTB-Fahrer einen attraktiveren Weg über Forstwege, immerhin kürzer als der Vorschlag des BW-Routenplaner. Und der Glemsmühlenradweg ist Komoot auch unbekannt.
Zwei weitere Tests: Seit drei Jahren existiert ein super ausgebauter (Schul-) Radweg von Herrenberg über Haslach nach Jettingen. In Komoot wird man stattdessen über unbefestigte Waldwege geschickt. Interessant auch der Vorschlag, wie man von Kuppingen nach Gültstein radelt, also das muss man sich ansehen, man umfährt Affstätt durch Gebiete, die noch kein Radler betreten hat.
Die Digitalisierung der Rad-Infrastruktur ist gut gemeint, aber wenn die Apps nicht permanent mit aktuellen Daten gefüttert werden, sind sie verwirrend und nervig.
Übrigens: die gedruckten Radkarten des Landesvermessungsamtes sind hervorragend. Super Kartenbild mit Höhenlinien und plastischer Geländedarstellung. Man erkennt: geteert, unbefestigt, Radweg parallel zur Straße, Rad und KFZ gemeinsam. Auch die touristischen Radwege sind drauf. Das Problem sind immer die Ortschaften, da ist der Maßstab teils zu groß.
Lustvolles Radeln nach Wegweisern - wo ist eigentlich das Problem? Die Kommunen sind nicht in der Lage, ihre Radmarkierungen auf dem Laufenden zu halten. Stattdessen verwirren sie mit lokalen Extra-Touren mit klangvollen Namen, "Radelrund", "Panoramastrecke", die auf keiner Karte auftauchen, vielleicht auf einer kommunalen Homepage, stilisiert und viel zu grob. Und dann fehlen die Täfelchen: Baumfällungen, Baustellen, Neubaugebiete.
In Süddeutschland, so unsere Erfahrung, ist die grüne Radwege-Wegweisung lückenhaft und teils verwirrend, das erinnert mich an die Deutsche Bundesbahn mit ihren x Verkehrsverbünden und Tarifsystemen. Schlechte Radwege sind nicht das Problem, man kann nicht verlangen, dass jedes Kuhdorf seine sicheren Luxus-Radwege hat. Und die Wegführung durch die Orte führt zwar öfters im Zickzack, aber in der Regel durch hübsche Innenstädte, Parks und Nebenstraßen. Aber sobald eine Markierung fehlt, ist man verloren. Ein Nummern-System wie in Tschechien wäre überfällig. Warum macht sich der ADFC nicht dafür stark?
Überfällig ist eine zentrale Anlaufstelle, die per Email oder besser per App die Hinweise der Leute sammelt, wo Wegweiser fehlen, und sofort an die Kommunen weitergibt - alle reden von der Digitalisierung, leider bleibt es beim Reden. Es gibt zwar genügend Nerds, die die tollsten Dinger mit fertigen Software-Bausteinen fabrizieren. Aber dass die Apps Futter sprich Daten brauchen: das hat man nicht kapiert. Nicht ohne Grund führt der Informatik-Zweig "Relationale Datenbanken" ein Schattendasein, das ist viel trockene Theorie, aber absolutes Grundwissen auch für jeden Hobby-Programmierer. Da die Daten von uns Menschen geliefert werden, braucht es eine vernünftige "Schnittstelle" zwischen Programm und User. Die Programmierung einer funktionellen und verständlichen grafischen Oberfläche zur Bedienung eines Programmes ist hohe Kunst und wird in der Regel als lästiges Beiwerk vernachlässigt. Kein Wunder tun sich die Verwaltungen schwer, ihre Homepages und digitalen Hilfen für ihre Bürger zu pflegen.
Die Digitalisierung ist kein Heilsbringer, der unsere konventionellen gedruckten Datenträger überflüssig macht. Dazu ist sie zu kompliziert, zu fehleranfällig, extrem schwierig zu beherrschen, und zunehmend unkontrollierbar, weil sie krebsartig wächst. Von der Natur ist die Digitalisierung nicht vorgesehen, sie ist ein vom Menschen eingeschleppter Virus, der sich ungehemmt vermehrt. Die Natur ist analog und wir sind Natur. Das ist die Krux.
Als angelernter Informatiker in der Industrie und zuletzt im Schuldienst weiß ich wovon ich rede.
11. August 2020 Martin Dietze