Herrenberger Bürger*innen proben den Aufstand, weil ihr Wohngebiet zunehmend durch Schleichverkehr belastet wird. Grund ist die zunehmende Stauhäufigkeit auf den angrenzenden Verkehrsachsen.
Der Protest einer Gruppe genervter Anwohner*innen der Alzental-Siedlung veranlasste die Verwaltung, die zwei am meisten frequentierten Durchgangsstraßen durch das Wohngebiet als bis zur Mitte gegenläufige "unechte Einbahnstraßen" auszuschildern: Durchfahren ist nicht mehr möglich, aber ein ausgeklügeltes System erlaubt Anwohner*innen, aus Querstraßen in die verbotene Richtung der Einbahnstraßen einzubiegen. Die Folge: verwirrrte Autofahrer fuhren ziellos durch bisher ruhig gebliebene Wohnviertel. Eilig wurde eine Bürgerversammlung einberufen. Die aufgebrachten Bürger*innen entschieden sich mit großer Mehrheit für eine quasi Vollsperrung des gesamten Gebietes. Die Verwaltung reagierte schnell. Das Alzental war nur noch über zwei Nadelöhre zu erreichen. Nun sind das Alzental und das benachbarte Wohngebiet Schafweide zangenartig zwischen zwei in den stauträchtigen Schick-Platz einmündende massivst belastete Hauptverkehrsstraßen eingeklemmt. Die Nadelöhre münden letztendlich in diese Straßen - mit der Folge, dass die Alzentäler ihrerseits häufig über den Schick-Platz müssen, wenn sie ihr Wohngebiet verlassen. Sogar die Verbindung in das benachbarte Gebiet Schafweide wurde gekappt, um die Benutzung der Trennstraße dazwischen als neuen Schleichweg gleich zu unterbinden. Die danach total chaotischen Verhältnisse auf den Hauptachsen veranlasste die Verwaltung, alle Schilder schnellstens abzubauen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Man vertröstete auf die kommenden Maßnahmen einer neuen Verkehrskonzeption für ganz Herrenberg, die jedoch aufgrund umfangreicher straßenverkehrlicher Umbauten noch Jahre bis zur Realisierung benötigen wird.
Zur Verteidigung der Verwaltung muss man sagen: sie bemühte sich sehr, andere Alternativen wie Poller, Schwellen oder verstärkte polizeiliche Überwachung den Bürger*innen nahezubringen. Die Wut der Bürger*innen war einfach zu groß. Die Verwaltung konnte nicht anders, als mit diesem Absurdistan die Grenzen aufzuzeigen, die der irrsinnige Verkehr der gesamten Gesellschaft setzt. Gegen die Gewalt des "motorisierten Individualverkehrs" ist die beste Verwaltung machtlos, solange im Verkehrswesen bundesweit die alten Gesetze gelten. Ein Umdenken von unten setzt viel zu langsam ein. Vielleicht gibt es ein wenig Nachdenken nach diesen Ereignissen. Geht es letztendlich nur noch mit Zwangsmaßnahmen und hoher Standfestigkeit, die Folgen auszuhalten? Nichtstun ist noch schlimmer, es führt zur totalen Dominanz des Autos und macht unsere Kommunen zusehends unbewohnbar. Die Herrenberger sind tief gespalten. Noch resigniert die Mehrheit. Wie lange noch?
Martin Dietze