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Klimafahrplan
Klimafahrplan "Herrenberg 2045 klimaneutral"

 Aktualisiert: 17.03.2022

Die "Klimastreifen" visualisieren die Temperaturänderung in Deutschland von 1881 bis 2017.
Quelle: https://showyourstripes.info/l/europe/germany/all

 

1. Was ist der Klimafahrplan?

Der sogenannte Klimafahrplan (KFP) [1] ist ein rund 400 Seiten umfassendes Dokument, das von der Firma B.A.U.M. [2] druckreif erstellt wurde. Die Inhalte des KFP hat B.A.U.M. zusammen mit Vertretern örtlicher NGOs [3], des Gemeinderates und der Stadtverwaltung erarbeitet. Der KFP enthält über 100 Einzelmaßnahmen in neun sogenannten "Handlungsfeldern" [4], durch die Herrenberg die Ziele des Pariser Klimaabkommens [5] erreichen will. Die einzelnen Maßnahmen im KFP sind kategorisiert u.a. nach den Kriterien Klimaeffekt, Aufwand, Status; jeder Maßnahme ist ein Dezernat der Stadtverwaltung zugeordnet, das für die Umsetzung verantwortlich ist. Die erste Version des KFP wurde Ende Dezember 2020 vorgelegt. Im März 2022 soll der KFP endgültig vom Gemeinderat verabschiedet werden. Die oben genannten Vertreter örtlicher NGOs und des Gemeinderates bilden zusammen den Klimabeirat [6]. Er wirkte und wirkt weiter als Expertenrunde aus der Bürgerschaft und soll zukünftig die Umsetzung der Maßnahmen des KFP kritisch und konstruktiv begleiten.

[1) https://www.herrenberg.de/MpS?project_id=132

[2] https://www.baumgroup.de/

[3] ADFC, BUND, NABU, VCD, Stadtjugendring, Gemeinwohl-Ökonomie, AK Energie der Lokalen Agenda, Gemeinderatsfraktionen, Ortsverbände der politischenParteien, Kreisbauernverband, Gewerbeverein, Stadtwerke, Energieagentur Böblingen, Dezernate der Verwaltung.

[4] Energiewirtschaft, Mobilität, Bauen/Wohnen, Industrie/Wirtschaft/Gewerbe, Landwirtschaft/Ernährung/Konsum, Forstwirtschaft/Landnutzung, Klimawandelanpassung/Stadtklima, Kommunikation/Motivation, Umsetzungsstrukturen/Erfolgskontrolle

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbereinkommen_von_Paris

[6] https://www.herrenberg.de/de/Stadtleben/Leben/Nachhaltigkeit/Klimabeirat

 

2. Der Verkehr ist der größte Klimaschädling

39% des gesamtenTreibhausgas(THG)-Ausstoßes der Kommune Herrenberg wird durch den Verkehr verursacht. Damit ist der Verkehrssektor der größte THG-Emittent in Herrenberg vor Haushalte, Industrie und Gewerbe.

 

3. Mobilität ist ein Grundbedürfnis und ein Grund für Streit und politischen Stillstand

Die Natur hat den Menschen erschaffen, dass er täglich 30 Kilometer zu Fuß zurücklegen kann. Gottlieb Daimler hat das Auto erschaffen, dass der Mensch täglich 1000 Kilometer im Sitzen zurücklegen kann. Seitdem befinden sich Gehende und Sitzende im permanenten Streit um ihre Territorien. Das Thema Mobilität spaltet die Gesellschaft und bringt Freundschaften auseinander. Auch die VCD-Ortsgruppe ist sich nicht immer einig.

Durch raffiniertes und leider auch kriminelles Product-Placement hat unsere Industrie das Auto zum unantastbaren Pseudo-Kulturgut hochstilisiert. Inzwischen muss man von Unkultur sprechen. Das Thema Auto dominiert das Wahlverhalten der Bevölkerung bis herab in die Kommunen. In Herrenberg ist eine grundlegende Richtungsänderung beim Thema Mobilität  vom Gemeinderat und von der Verwaltungsspitze nicht zu erwarten.

 

4. Der IMEP bremst klimafreundliche Mobilität aus

Der Integrierte Mobilitäts-Entwicklungs-Plan 2030 (IMEP) ist im Grunde ein städteplanerisches Instrument, das neue Baugebiete und wachsenden Individualverkehr irgendwie verheiraten soll. Den motorisierten Individualverkehr (MIV) reduzierende und klimawirksame Aspekte treten in den Hintergrund. Wir verweisen auf unseren ausführlichen Artikel zum IMEP. Die Dominanz des IMEP hat zur massiven Verstümmelung des vormals ambitionierten Handlungsfeldes Mobilität im Klimafahrplan (KFP) geführt: die zugehörigen Maßnahmen im IMEP und im KFP bewirken in der Summe eine THG-Einsparung im Mobilitätsbereich von lächerlichen 2 - 3 Prozent pro Jahr (genauere Zahlen finden sich in der PowerPoint-Präsentation von Martin Dietze, Seite 10 ff.)

 

5. Begrifflichkeiten

Der Klimafahrplan ist sehr ambitioniert: bis 2045 soll Herrenberg klimaneutral werden. Zum Vergleich: Die meisten Kommunen erarbeiten Klimaschutzkonzepte mit Maßnahmen innerhalb der nächsten überschaubaren 5 bis 10 Jahre. Klimafahrpläne mit dem langfristigen Ziel "Klimaneutralität 2045" sind sehr viel komplexer:

Wie der THG-Ausstoß im Einzelnen berechnet wird, ist eine Wissenschaft für sich. Im Prinzip müssten alle THG-Quellen (Öl, Gas, Tierhaltung, Holzverbrennung, Verrottung, Bauen mit Beton, graue Energie, ...), alle THG-Senken (nachwachsendes Grünland, Renaturierung, Aufforstung, Moorvernässung, ...) und alle Kompensationsmaßnahmen (Finanzierung von Solarkochern, ...) miteinander verrechnet werden. Schon diese stark verkürzte Aufstellung illustriert die immense Komplexität.

In der Regel beschränkt man sich auf eine Bilanzierung des Energieverbrauchs und berechnet für jeden Energieträger die THG- bzw. den CO2-Emissionen.

Hinweis: Energie"verbrauch" ist physikalisch unmöglich. Es handelt sich um Umwandlung von arbeitsfähiger Exergie, z. B. elektrischer Strom, über andere Energieformen - Bewegung, Licht - in nutzlose Anergie (Abwärme). Wir bleiben trotzdem beim populären Begriff "Energieverbrauch".

Für die Bilanzierung des Energieverbrauchs und daran gekoppelter THG-Emissionen gibt es zwei grundlegende Szenarien:

Hinzu kommt die Berücksichtigung der "Vorkette": Kohle-Rucksack des elektrischen Stroms, graue Energie infolge Herstellung und Transport von Gütern. Und wenn eine dicht befahrene Autobahn über die Gemarkung der Kommune verläuft: auf welcher Grundlage berechnet sich der CO2-Ausstoß des motorisierten Verkehrs in der Kommune?

Fragen über Fragen. Aufklärung, Konsensfindung und Bilanzierung beim Thema "THG-Ausstoß in der Kommune" nehmen die meiste Zeit der KFP-Erstellung in Anspruch. Ohne professionelle Führung durch ein Institut kann eine Kommune das keinesfalls leisten. Die Festlegung eines Maßnahmen-Katalogs ist hingegen eine vergleichsweise einfache Fleißarbeit.

Das alles wird gerne vergessen, wenn sich eine Kommune der Herausforderung "Klima-Neutralität" stellt.

 

6. Chronologie der Ereignisse

Februar 2020: Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung mit der Erarbeitung eines Klimafahrplans (KFP), der spätestens in einem Jahr vorgelegt werden soll. Bis zum Jahr 2050 soll Herrenberg klimaneutral sein. Verantwortlich ist die Stabsstelle Klimaschutz, die dazu personell aufgestockt wird.

April 2020: Die Firma B.A.U.M. Consulting GmbH wird mit der Erstellung des KFP beauftragt.

September 2020: Einführungsveranstaltung für die Bürger*innen zum KFP. B.A.U.M. legt Grundlagen zum Verständnis. Ein Klimabeirat, bestehend aus Vertreter*innen wichtiger Organisationen (Gemeinderatsfraktionen, ADFC, VCD, BUND, ...) wird gegründet.

Der Klimafahrplan ist viel komplexer als ursprünglich gedacht

September 2020 bis März 2021: In mehreren Workshops mit Herrenberger Bürger*innen werden um die 200 Maßnahmen gesammelt, die zur Erreichung von Klimaneutralität beitragen können. Es stellt sich heraus, dass die Thematik sehr viel komplexer ist als urspünglich angenommen. Die Vorstellungen über Form und Inhalt des KFP differieren stark.

Hohes Engagement des Stadtjugendringes

März 2021: Der Stadtjugendring (SJR) erarbeitet ein eigenes Positionspapier "Herrenberg klimaneutral 2040". Das Papier erfährt hohe Anerkennung, besonders aufgrund der schlüssigen Strukturierung und der wissenschaftlich fundierten Erfassung aller relevanten Themenfelder bei gleichzeitiger hervorragender Verständlichkeit.

Kritik am ersten Klimafahrplan-Entwurf 

März 2021: B.A.U.M. stellt einen ersten Entwurf des KFP vor, der die Ideen der Bürgerschaft weitgehend berücksichtigt. Die Gliederung in sogenannte "Leitprojekte" wird von Klimabeirat und Verwaltung als zu unübersichtlich kritisiert. Die Verwaltung erarbeitet eine eigene Gliederung mit "Handlungsfeldern".

Der IMEP muss auch berücksichtigt werden

April 2021: Die Verwaltung stellt fest, dass sich der Integrierte Mobilitäts-Entwicklungs-Plan 2030 (IMEP) mit dem KFP überschneidet. Sie schlägt vor, das Handlungsfeld Mobilität teilweise dem IMEP zu überlassen.

Der Stadtjugendring fühlt sich übergangen

Juni 2021: Der Stadtjugendring (SJR) beklagt eine gefühlte Ignoranz gegenüber seinem Positionspapier sowie die Verwässerung des Handlungsfeldes Mobilität - der Verkehr verursacht in Herrenberg 39 Prozent des THG-Ausstoßes! Der SJR bittet die VCD-Ortsgruppe um Mithilfe an einem Brandbrief und einem 5-Punkte-Plan zur Mobilität, sowie um Mitunterzeichnung. Weitere Organisationen sollen ebenfalls unterzeichnen, um dem Brief mehr Gewicht zu geben. Weil ADFC und BUND die Unterschrift aus formalen Gründen ablehnen, zieht der SJR den Brief zurück.

Die "Klimaklage" und das VGH-Urteil mischen den KFP auf

Juni 2021: Zweiter Entwurf des KFP mit Handlungsfeldern. Umbenennung des KFP in "Herrenberg klimaneutral 2045" (Urteil des VGH Karlsruhe vom 29. April 2021 zur "Klimaklage") und Anpassung aller Handlungsfelder auf das neue Datum. Viele Änderungswünsche vom Klimabeirat.

Klimafreundliche Mobilität praktisch auf Eis: Die Verwaltung gibt dem IMEP Vorrang vor dem KFP

Juli 2021: B.A.U.M. komplettiert den zweiten Entwurf des KFP. Neuer Passus im Handlungsfeld Mobilität: Der IMEP, der mit Klimaschutz kaum etwas zu tun hat, wird unverändert weiter durchgeführt. Erst 2024 wird er "evaluiert" und ggf. seine Maßnahmen klimaschutzrelevant angepasst. Das Handlungsfeld Mobilität im KFP enthält nur noch Klein-Klein.  Dieser Passus wurde von der Verwaltung begründet: 1. Der IMEP wurde noch vor dem KFP vom Gemeinderat beschlossen und ist "nicht verhandelbar". 2. Die Verwaltung ist mit der Abarbeitung der IMEP-Maßnahmen voll ausgelastet.

Die hochkomplexe Materie bringt viele Beirät*innen an die Grenzen:

August 2021: 5-stündiger Sonder-Workshop der Firma B.A.U.M. für interessierte Klimabeirät*innen: Wissenschaftliche Hinterleuchtung des Zahlenwerkes im KFP.

Thema Mobilität auf Eis: Personelle Konsequenzen

Oktober 2021: Martin Dietze tritt vom Amt des Klimabeirates und als Sprecher der VCD-Ortsgruppe zurück. Ulrich Kurz erklärt sich bereit, die Nachfolge kommissarisch zu übernehmen.

Martin Dietze erklärt seine Rücktrittsgründe

16. Dezember 2021: Mitgliederversammlung der VCD-Ortsgruppe per ZOOM. Martin Dietze begründet seine Rücktritte.
- Vom Klimabeirat: Die Übernahme des Handlungsfeldes Mobilität durch den "unverhandelbaren" IMEP schließt jede weitere Mitwirkung des Klimabeirates am Thema Mobilität praktisch aus. Der IMEP hat darüberhinaus nur marginale Klimaschutzrelevanz.
- Als Sprecher der VCD-Ortsgruppe: Die  Aktiven der Ortsgruppe waren sich uneins bei der Beurteilung des Verwaltungsbeschlusses, die Mobilität dem IMEP zu überlassen und den KFP entsprechend auszudünnen. Im Übrigen sei die lose Struktur der Ortsgruppe mit ihrer heterogenen Zusammensetzung zuwenig schlagkräftig. Viele Aktive der Ortsgruppe sind Funktionstragende in anderen Gruppen und Vereinen, was zu Zielkonflikten führt.

Neue Struktur der Ortsgruppe

Die Mitgliederversammlung beschließt eine neue Struktur der Ortsgruppe: Eine Kerngruppe aus drei bis vier Personen trifft sich regelmäßig und beschließt die weiteren Aktivitäten. Die übergeordneten Ziele des VCD-Dachverbandes sind der gemeinsame Nenner. Die Treffen sind offen für VCD-Mitglieder*innen. Ulrich Kurz ist Ansprechpartner der Ortsgruppe. Martin Dietze pflegt weiterhin die Homepage.

Die finale Langversion des KFP ist fertig und wird vorgestellt.

20 .Dezember 2021: Die Langversion des KFP wird dem Klimabeirat vorgestellt. Diese Version soll später dem Gemeinderat zur Abstimmung und Verabschiedung übergeben werden. Die ersten 92 Seiten (Kurzversion) enthalten das Wesentliche, der nachfolgende Detailteil umfasst 327 Seiten. Dazu gibt es einen nichtöffentlichen Teil für die Verwaltung.

Wie erwartet, bleibt beim Konflikt KFP - IMEP alles beim Alten: IMEP sticht KFP. Der IMEP hat den Aspekt Klimaschutz nicht im Focus. Die Verwaltung ist sich der Problematik bewusst, sie ist jedoch mit der Abarbeitung des IMEP (Gemeinderatsbeschluss!) voll ausgelastet. Deshalb wird der IMEP erst 2024 auf Klimaschutz-Relevanz untersucht und ggf. nachgebessert.

 

7. Wie geht es weiter?

Bis zum 15.2. (TA-Sitzung) und 4.3. können Fragen an Frau Bürgermeisterin Schreiber und Hern Kleiser gestellt werden, sowohl schriftlich als auch im persönlichen Gespräch.

 

8. Weiterführende Dokumente

NEU!  Die finale Version des Klimafahrplans ist jetzt öffentlich einsehbar.
Download hier. Dateigröße: 12 MB!

PowerPoint-Präsentation von Martin Dietze in der Mitgliederversammlung vom 16.12.2021. Kernthema ist die Verstümmelung des Handlungsfeldes Mobilität aufgrund des Verwaltungsbeschlusses, den IMEP unverändert weiterzuführen. 

Zweiter Entwurf des KFP vom Juni 2021  Der Entwurf enthält schon alles Wesentliche der folgenden finalen Langversion.

Ausführliche Kritik am Handlungsfeld Mobilität und am IMEP von Martin Dietze, im Juni 2021

Positionspapier des SJR "Herrenberg 2040 klimaneutral"

"5-Punkte-Plan zur Mobilität" des SJR

Protokoll der 2. Klimabeiratsitzung vom Dezember 2020. Das Protokoll ist in Teilen veraltet. Trotzdem: Gute Darstellung der Problematik, nützliche Diagramme, Beiträge der Bürgerschaft usw.

GÄUBOTE-Berichte zum Thema


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