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07.12.2021  GÄUBOTE

Thema Mobilität wird zum Zankapfel

Herrenberg: VCD-Vertreter Martin Dietze gibt seinen Posten im Klimabeirat ab und tritt auch als Sprecher der Ortsgruppe zurück. Spannungsfeld zwischen Imep und Klimafahrplan, der nun 95 Einzelmaßnahmen hat.

Konrad Buck

Ausgangspunkt ist: Herrenberg will bis 2045 klimaneutral werden, der Gemeinderat hatte dazu die Stadtverwaltung im Jahr 2019 beauftragt, einen Klimafahrplan zu erstellen. Die 24 Mitglieder des Klimabeirats (Gemeinderäte und Vertreter von Vereinen, Verbänden und Organisationen) haben in mehreren nichtöffentlichen Sitzungen ein Konzept erarbeitet, flankiert von zwei öffentlich tagenden „Klimawerkstätten“, an denen Bürger mitwirkten. Die 22 „Leitprojekte“ mündeten mittlerweile in 95 Maßnahmen, darunter 34 Kernmaßnahmen, die dazu beitragen sollen, dass Herrenberg bis zum Jahr 2045 dem Ziel der Klimaneutralität gerecht wird. Der Klimafahrplan umfasst in der Langfassung üppige 300 Seiten, gegliedert in Handlungsfelder sowie in kurz-, mittel- und langfristig umzusetzende Projekte in verschiedenen Bereichen, etwa Energiewirtschaft, Bauen/ Wohnen, Mobilität, Industrie/Wirtschaft/Gewerbe, Landwirtschaft, Kommunikation und Motivation. Beim Thema Energiewirtschaft will auch die Stadtverwaltung als Vorbild agieren und strebt eine klimaneutrale Verwaltung bis 2040 an. Auch Heizungsanlagen, Straßenbeleuchtung, Fuhrpark und die Organisation von Dienstreisen sollen zur Treibhausgas-Reduktion beitragen, wie der Herrenberger Klimaschutzmanager Thomas Kleiser ausführt.

Zum Streitpunkt avancierte ein Kernthema, das auch bei der Klimawende eine maßgebliche Rolle spielt: die Mobilität. Martin Dietze, bislang Sprecher der Herrenberger VCD-Ortsgruppe, weist darauf hin, dass Mobilität auf fossiler Basis in Herrenberg 39 Prozent des CO2-Ausstoßes verursache und damit der größte Treibhausgas-Emittent sei – noch vor Haushalten, Industrie und Gewerbe. Um die Klimabilanz nachhaltig und effizient zu verbessern, verficht Dietze deshalb die These, dass auch beim Thema Mobilität im Allgemeinen und beim motorisierten Individualverkehr im Besonderen der Hebel anzusetzen ist. Der Kuppinger bedauert daher, dass die Mobilität „per Verwaltungsbeschluss aus dem Klimafahrplan größtenteils eliminiert“ worden sei – zugunsten des Integrierten Mobilitätsentwicklungsplans (Imep). Der Imep, so kritisiert Martin Dietze, lege sein Hauptaugenmerk auf den „Modal Split“, also auf den Anteil, den die einzelnen Verkehrsträger am gesamten Verkehrsaufkommen haben, verbunden mit dem Ziel, den Fußgänger-, Radler- und ÖPNV-Anteil zu erhöhen. „Die angestrebte marginale Änderung des Modal Split ist mit einer ökologischen Verkehrswende nicht vereinbar, geschweige denn mit einer wirksamen Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes“, kritisiert Dietze und moniert, dass der Klimafahrplan mit dem Thema Mobilität seinen wichtigsten Inhalt verloren habe, zumal der vom Gemeinderat beschlossene Imep erst 2024 evaluiert und fortgeschrieben werden soll. „Der Imep sticht den Klimafahrplan im Bereich der Mobilität, im Imep taucht das Wort Klimaschutz in einem einzigen Satz auf, Klimaschutz wird politischem Formalismus geopfert“, kommentiert Martin Dietze dieses Vorgehen. Er zog daraus die Konsequenzen und trat nicht nur als Mitglied des Klimabeirats zurück, sondern auch als Sprecher der VCD-Ortsgruppe.

Ein Knackpunkt dabei scheint zu sein: Der Imep ist nicht unter dem Punkt der Klimaneutralität entworfen worden. Gleichwohl wolle man den vom Imep vorgegebenen Fahrplan zunächst nicht antasten, sagte Baubürgermeisterin Susanne Schreiber auf „Gäubote“-Anfrage: „Wir wollen den Beschluss des Gemeinderats nicht infrage stellen, weil wir nicht gleichzeitig einen neuen Imep aufstellen können. Wir wollen deshalb den Imep fortschreiben und diese Fortschreibung nutzen, um den Imep auf Klimaneutralität zu prüfen.“ Diese erste Evaluation ist für 2024 vorgesehen

Der Herrenberger Klimafahrplan enthält beim Handlungsfeld Mobilität elf Einzelmaßnahmen: klimafreundliche Mobilität in der Stadtverwaltung, Verbundprojekt mit Herrenberger Betrieben, Evaluierung und Fortschreibung des Imep, Modellgebiet für zukunftsfähige Mobilität, neues Verteilzentrum in der Innenstadt, Weiterentwicklung der Co-Working-Space-Angebote, Ausweitung des Lastenrad-, Rikscha- und Fahrradkurier-Projekts, Mobilitätsverbesserung an Herrenberger Schulen, öffentliche und private Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge sowie Modellprojekt klimafreundliche Antriebe. „Diese spärlichen Maßnahmen wirken kraftlos“, meint Martin Dietze. Er vermisst darin nicht nur den motorisierten Individualverkehr, sondern auch den ÖPNV, den Fuß- und Radverkehr und das Parkmanagement. „Die effektivsten Maßnahmen des Handlungsfelds Mobilität wurden aus dem Klimafahrplan eliminiert“, folgert der Kuppinger. Ein Tempolimit, so ergänzt er, komme nur im Zusammenhang mit der intelligenten Verkehrssteuerung vor; für ebenso wichtig hält er das Ziel, die Zahl der Stellplätze und den Autoverkehr insgesamt zu reduzieren. Dietze hätte sich also gewünscht, dass der Klimafahrplan sich des Themas Autoverkehr annimmt: „Stattdessen geht es nur um die Verflüssigung des motorisierten Verkehrs.“ Maßnahmen, die den Wohlstand und die Gewohnheiten der Bürger einschränkten und Erschwernisse für Handel und Gewerbe bedeuteten, seien praktisch ausgeschlossen, moniert er. Dietze fordert durchgängig Tempo 30 und Pförtner-Ampeln. Für Fußgänger am Schick-Platz hält er einen „Diagonal-Zebrastreifen“ für geeignet, das heißt: Die Fußgänger erhalten eine Minute lang am gesamten Schick-Platz Grün, um die Straßen in einem Zuge überqueren zu können und nicht mittendrin an der nächsten roten Ampel warten zu müssen.

Dass die Mobilität aus dem Imep weitgehend verbannt ist, diese Meinung teilt Susanne Schreiber indes nicht. „Wir haben die Mobilität nicht eliminiert, sondern haben elf Einzelmaßnahmen drin, die wir personaltechnisch auch realisieren können“, sagt die Baubürgermeisterin. Thomas Kleiser hofft derweil, dass sich Klimafahrplan und Imep gegenseitig befruchten werden: „Der Hauptfokus Klimaschutz beim Klimabeirat und die Aspekte Verkehrslenkung und Verkehrssicherheit im Imep sind zwei parallel laufende Stränge, die sich ideal ergänzen sollen.“

VCD-Ortsgruppe: Zukunft ist offen
Offen ist, wie es mit der Herrenberger VCD-Ortsgruppe weitergeht, die sich erst im Frühjahr 2019 konstituiert hatte, als die Proteste gegen das geplante Geschäfts- und Parkhaus in der Hindenburgstraße aufflammten. Die Ortsgruppe, die nicht als eingetragener Verein firmiert, will in Kürze darüber beraten, ob, wie und in welcher Form die VCD-Arbeit in der Gäu-Stadt fortgesetzt werden könnte. Innerhalb des VCD wurde die von Martin Dietze angesprochene Thematik kontrovers diskutiert. „Es gab als pragmatische Lösung die Tendenz, zu sagen, dass wir den Imep erst mal laufen lassen“, sagt Ulrich Kurz, der Martin Dietze gegenwärtig vertritt. „Es gibt aber Zielkonflikte, die nicht zusammenpassen, zum Beispiel dass Herrenberg Süd mehr Verkehr anzieht. Bei den Bürgern ist ein Umdenken nötig, und da gehört auch die Bereitschaft der Bürger dazu“, ergänzt Ulrich Kurz. Insbesondere die Trasse I3 opt. – die Verbindung zwischen der Horber und Nagolder Straße – lehnen sowohl der VCD als auch Martin Dietze ab. -buc-



22.12.2021  GÄUBOTE

VCD macht mit neuem Kernteam weiter

Herrenberg: Ulrich Kurz neues Gesicht nach außen.

Rüdiger Schwarz

Eine Vielfalt an Meinungen unter einen Hut zu bringen ist mitunter ein schier unmögliches Ding. Martin Dietze kann ein Lied davon singen, die Nerven lagen blank, der Sprecher der Herrenberger Ortsgruppe des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) schmiss entnervt den Bettel hin. Der Kuppinger kam sich immer mehr wie ein Einzelkämpfer vor. „Ich konnte die Vielfalt der Meinungen als Sprecher nicht mehr mittragen“, sagt er. Eine Pressemitteilung zur Herrenberger I3 opt. brachte das Fass zum Überlaufen. Erschwerend kam hinzu, dass seit Corona alles per Mailverkehr gehen musste. „Jeder gab sein Statement ab, wann er gerade wollte“, so Kurz rückblickend. Man habe sich recht lange im Kreis gedreht, sei nicht mehr schlagkräftig gewesen. Martin Dietze zog endgültig die Reißleine, gab als Sprecher des VCD auf. Daraufhin sprang Ulrich Kurz in die Bresche.

Die Ortsgruppe des VCD gründete sich parallel zur laufenden Bürgerinitiative gegen das in der Hindenburgstraße geplante Geschäfts- und Parkhaus. Man unterstützte das Bürgerbegehren. Ein verkehrsberuhigtes, fußgänger- und radfahrerfreundliches Herrenberg, eine klimaverträgliche Mobilität, mehr Bus und Bahn samt Carsharing, das wäre jetzt genau nach dem Geschmack der im Frühjahr 2019 aus der Taufe gehobenen Ortsgruppe des VCD. Erster Sprecher wurde der Gültsteiner Ortschaftsrat Andreas Kegreiß. Sein Nachfolger wurde Martin Dietze. Derweil wird die Gruppe durch die Pandemie eingeschränkt, eine Freiluftsitzung im Gemeinschaftsgarten ist noch möglich, mehr geht nicht. „Wir wurden aber auch organisationsbedingt ausgebremst“, betont Ulrich Kurz. Denn man hat es hier mit einer Gruppe, keinem Verein zu tun.

Viele Mitglieder sind gleichzeitig in anderen Vereinen und Gruppierungen tätig, etwa ADFC, BUND, Lokale Agenda oder Grüne. „Viele sind in anderen Organisationen aktiv tätig, dort werden Sachen auch anders gesehen, damit musste ich ehrlich gesagt kämpfen“, sagt Martin Dietze. Es gibt ein breites Meinungsspektrum, viele unterschiedliche Sichtweisen. Nimmt etwa die Ortsgruppe des ADFC mehr das Fahrrad ins Visier, hat der VCD auch Fußgänger und ÖPNV im Blick. Weniger Autos auf Herrenbergs Straßen wollen hingegen beide, allein der Weg dorthin bleibt mitunter strittig. „Ich glaube, die Zielsetzung ist ganz ähnlich“, stellt ADFC-Tourenleiter Peter Würffell noch mal klar. Es sei grundsätzlich sinnvoll, daran gemeinsam zu arbeiten. „Der ADFC wünscht sich, dass der VCD weiter besteht“, lässt Würffell wissen. Doris Boeddecker würde sich liebend gern mit ihren Ideen in die Gruppe einbringen und mit Gleichgesinnten Dinge teilen. Die Mönchbergerin hat einen autofreien sechsmonatigen Feldversuch hinter sich gebracht, ihn ausgewertet, analysiert und die Ergebnisse bei einer Info-Veranstaltung des VCD vorgestellt. Wie künftig mit Konflikten umgehen? Doris Boeddecker plädiert für einen Neustart der Gruppe, bei dem man eine Vereinbarung treffe, wie stark zusammengearbeitet werde. Eine eindeutige Regelung, klare Rollen müssten her. Martin Felder bringt eine Satzung ins Spiel, welche die Regeln klarstelle, damit nicht hin und her diskutiert werde.

Potenzial beim Busverkehr besser ausschöpfen
Dass Martin Dietze das Handtuch warf, hat nicht nur mit der Gruppe als solcher zu tun. Dietze verließ auch den Klimabeirat. Seiner Meinung nach geraten die im Klimafahrplan ausgegebenen Ziele zur Einsparung von CO2  im Integrierten Mobilitätsentwicklungsplan (Imep) der Stadt völlig unter die Räder. Die im Imep vorgesehenen Maßnahmen würden in erster Linie nicht das Ziel klimaneutraler Verkehrseffekte verfolgen. „Nur rund zweieinhalb Prozent des Treibhausgasausstoßes können pro Jahr beim Verkehr eingespart werden“, so Dietze. Dabei verursache allein der Verkehr 39 Prozent der CO2 -Emissionen in Herrenberg. Zum ruhenden Verkehr habe er im Imep außer dem Bau von Parkhäusern und neuen Tarifstrukturen bei den Parkgebühren ansonsten nichts Besonderes gefunden. Waltraud Pfisterer-Preiss gibt dagegen zu bedenken, dass es doch noch viele andere Themen gebe, etwa ÖPNV, Fußverkehr, Carsharing. „Wir sind keine Autogegner, sondern für eine vernünftige Nutzung des Autos“, ruft die Grünen-Rätin nochmals in Erinnerung. Auch Andreas Kegreiß findet, dass es in Herrenberg viel Potenzial beim Fahren mit dem Bus gebe. „Das wird nicht ausgeschöpft. Wir könnten uns breiter aufstellen und Tipps für die Bürger geben“, findet der SPD-Ortschaftsrat. Nach einigem hin und her erklärt sich Ulrich Kurz dazu bereit, den VCD nach außen hin zu vertreten, er wird zusammen mit Kassenwart Christoph Zerweck und Doris Boeddecker ein Kernteam bilden, künftig soll einmal im Monat das Plenum tagen.

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